Chamonix, 28.08.2022
Seine Laufschritte sind gleichmäßig, sein Puls ist etwas erhöht. Er weiß nicht wie viele Schritte er in den vergangenen 45 Stunden gelaufen ist. Er weiß nur es waren sehr viele. Die vielen Dinge in seinem Kopf lassen Ihn keinen klaren Gedanken fassen. Als er die ersten Jubelschreie hört, hebt er seinen Kopf und registriert in diesem Moment, was da um Ihn herum geschieht. Er befindet sich 800 m vor der Ziellinie des Ultra Trail du MontBlanc…..
Der Ultra Trail du MontBlanc ist ein Trailrun der seit 2003 jedes Jahr in Chamonix ausgetragenen wird.
Man sagt, es ist die Champions League im Trailrunning. Die ganze Welt kann das Spektakel mit seinen verschiedenen Distanzen eine Woche lange im LiveStream verfolgen.
Frank Hardt vom Lauftreff TV Urbar wollte sich diesen Traum vom UTMB schon lange erfüllen.
Nach vielen Qualifikationen und einem nicht ganz einfachen Vergabe-System hatte Frank endlich den ersehnten Startplatz für 2022.
Am Freitag, den 26.08.2022 stand Frank unweit des MontBlanc in Chamonix am Start des UTMB. „“ Das heißt einmal eine Runde um das Massiv in den Savoyer Alpen mit einer Länge von 171 Kilometern mit je 10.040 Höhenmetern im Auf- und Abstieg. Die Route führt von Frankreich nach Italien von dort in die Schweiz und wieder zurück nach Frankreich.Schon zwei Stunden vor dem Start sind die Straßen mit Zuschauern gefüllt.
Pünktlich um 18:00 Uhr wurde gestartet und fast 2.600 Ultraläufer setzen sich in Bewegung. Bei einer so großen Teilnehmerzahl war auf den ersten 600 Metern natürlich kein Laufen möglich. Ein Grund, den tosenden Applaus der Zuschauer in sich aufzunehmen.
Die ersten 8 Kilometer verliefen noch relativ flach. Nach dem Ort Les Houches führte der Trail steil nach oben. Das Teilnehmerfeld ist an dieser Stelle des Rennens noch so dicht zusammen, dass man um sich herum nur angestrengtes Atmen wahrnimmt. Nach einer längeren Passage bergab liefen die Läufer in die erste große Verpflegungsstation bei Kilometer 21 in St. Gervais. Hier füllte Frank seinen Trinkvorrat auf und machte sich zügig auf den Weg nach Les Contamines. Bereits auf diesem Streckenabschnitt begann der lange Anstieg der über fast 24 Kilometer bis auf den Gipfel Croix du Bonhomme. Das Bild der Stirnlampen von den Läufern zog sich wie ein Lindwurm durch die Nacht Richtung Himmel.
Der VP Les Chapieux wurde gegen 04:00 Uhr passiert. Das Feld hatte sich dort schon etwas auseinander gezogen. Mit dem Col de la Seigne auf 2.500 Metern über dem Meer wartete der nächste Pass auf die Ultraläufer und zum Sonnenaufgang waren auch diese Höhenmeter geschafft. Jetzt stand ein etwas technischer Abschnitt bevor, der teilweise über verblocktes Gelände führte hinab zum Lac Combal. Die Sonne schob sich langsam hinter der Silhouette des MontBlanc hervor und ließ die Bergwelt erwachen. Die folgenden 15 Kilometer bis Courmayeur auf der italienischen Seite verliefen größtenteils bergab. Die letzten 3,8 Kilometer in den Ort führten brutal steil nach unten in den Ort. Auf diesen 3,8 Kilometern musste ein Höhenunterschied von -1210 Höhenmeter downhill gelaufen werden. Bei der Ankunft in Courmayeur wartete Peter Stubbe auf Frank. In diesem Rennen dürfen die Läufer an sechs festgelegten VP´s Support erhalten. Peter versorgte Frank mit allem, was er zu diesem Zeitpunkt benötigte. Da die Oberschenkel nach 81 Kilometer und 4.600 Höhenmetern schon ziemlich mitgenommen waren, wurden sie kurzerhand mit einer Rolle massiert. Nach einer 30 minütigen Pause ging es für Frank weiter. Die Läufer befanden sich jetzt auf der anderen Seite das MontBlanc Massiv. Die folgenden 15 Kilometer bis zum VP in Arnouvaz liefen für Frank nicht so gut. Bei dem Aufstieg zum Refuge Bertone zerbrach einer der Trail-Stöcke. und dieser Umstand führte dazu, dass er für diesen Abschnitt viel länger gebraucht hatte als geplant. Jede dieser Stationen, die von den Teilnehmern passiert wird, hat eine feste Cut-Off-Zeit, was bedeutet, dass ein Läufer aus dem Rennen genommen wird, sobald zu er zu spät ankommt. Frank hatte eigentlich immer ein Zeitpolster von 45-60 Minuten, das er bedingt durch die Streckenführung am Ende noch ausbauen wollte, doch nun lief ihm auf einen Schlag die Zeit davon. Ein Blick auf die Uhr sagte Frank, dass er nur noch 16 Minuten Zeit hatte, aber Arnouvaz liegt unten im Tal. Der Pfad wand sich über viele Serpentinen hinab. Zweifel kamen auf. Ist die Strecke in der vorgegebenen Zeit noch zu schaffen? Das wird nichts, ging ihm durch den Kopf. Frank konnte den Sprecher aus dem Tal hören, wie er die noch verbleibenden 8 Minuten ansagte. Es sah nicht danach aus, dass die Zeit reichen würde! Vielleicht noch 10 Kehren, vielleicht noch 9. Die Zeit lief Ihm davon. Um 18:15 Uhr würde dort der Cut-off sein. Ein weiterer Blick auf die Uhr und die Erkenntnis, dass es eigentlich unmöglich ist, waren in diesem Moment nicht der größte Motivator.
Als Frank die Zeitmatte passierte, dachte er das für Ihn das Rennen hier zu Ende sein würde, doch 30 Sekunden blieben Ihm noch, für diesen VP zu durchlaufen. Angefeuert von vielen Helfern an diesem VP, schaffte Frank es im Rennen zu bleiben. Es waren 30 Sekunden, die über ein „Netter Versuch“ zu „Alles ist möglich“ entschieden haben. Frank war noch im Rennen und vor ihm wartete der Grand Col Ferret mit seinen 2.550 Metern Höhe. Zu Beginn des Aufstiegs hatte man phantastische Ausblicke auf den sagenhaften Grandes Jorasses mit seinen 4.200 Metern. Weiter oben, vor dem Gipfel des Ferret, dann nur noch eine Sicht von 10 Metern. Nach der Überschreitung des Col Ferret führte die Strecke über La Fouly in die Schweiz Richtung Champex Lac. Bis dorthin waren es noch 21 Kilometer. In Champex Lac wartete Peter für den nächsten Support. Die Stirnlampe wieder aufgesetzt, ging es in die zweite Nacht. Von Müdigkeit, war zu diesem Zeitpunkt noch nichts zu spüren. Nach ca. 32 Stunden war Frank am VP in Champex Lac. Und wieder erwies sich Peter als die „gute Seele des Rennens“ und versorgte Ihn mit allem Notwendigen. Frank wollte die Zeit so knapp wie möglich halten und ging nach 10 Minuten wieder auf die Strecke, denn vor Ihm noch drei Berge und 45 Kilometer.
Sollte er es wirklich schaffen und als Finisher ins Ziel laufen? Am See vorbei und auf den folgenden Kilometern ging es leicht abwärts, eigentlich keine große Sache doch mit einem Mal setzte die Müdigkeit ein. Seit fast 44 Stunden wach und einer Laufzeit von 33 Stunden war dies nicht verwunderlich.
Zuerst fallen die Augen zu, später sieht man Dinge die einfach nicht da sind. Der Verstand gaukelt einem Trugbilder vor und das alles passiert im Laufschritt. Man wird langsamer. und langsamer. Ein Schild kündigte den nächsten VP in Trient an: „Trient in 9,6 Kilometer Höhenmeter +860/ -860“. Auch nach genauerem Hinsehen änderte sich die Zahl nicht, die war leider echt. Bei diesen steilen Anstieg in der Nacht sah man die Stirnlampen der Läufer weit über sich. So hoch oben das man sie erst für Sterne halten könnte, aber dann, bei fokussiertem Blick feststellt, dass sich die Sterne leider bewegen und das man selbst irgendwann einmal dort oben ankommen sollte. Kurz vor der Morgendämmerung war auch dieser Aufstieg geschafft. Nach rechts ein Blick in das Rhonetal, nach links in den Downhill nach Trient, wo Frank’s Support Peter schon wieder auf Ihn wartete. Die Muskulatur der Oberschenkel schmerzte, ließ aber dennoch ein Laufen zu. In Trient angekommen, 15 Minuten Pause und ein Becher Suppe. Die bleierne Müdigkeit war plötzlich wie verflogen. Die nächsten 11,6 Kilometer bis Vallorcine geizen ebenfalls nicht mit positiven und negativen Höhenmetern. In Vallorcine bei Kilometer 153 wartete Peter ein weiteres Mal auf Frank. An diesem letzten Support Punkt machte Frank noch einmal 15 Minuten Pause und ging wieder auf die Strecke. Aus den 30 Sekunden auf den Cutt-off war wieder eine Stunde geworden, und somit das Ziel zu finishen in greifbarer Nähe. Was sind schon 18 Kilometer, wenn man bereits 153 gelaufen ist? Nun ja, alles ist bekanntlich relativ. Der finale Aufstieg über den Col des Montets zum Tet aus Vents lag vor Frank. Mit dem Satz: „Das nächste Mal, wenn wir uns sehen bist du im Ziel“ jagte Peter Frank aus dem VP.
Dieser letzte Berg hatte es in sich. Im unteren Bereich führte der Trail noch in kurzen Serpentinen hinauf, im späteren Verlauf ging es über Felsen sehr steil weiter, doch ein Ende war in Sicht. Der letzte VP mit Cut-off befand sich in La Flegere an einer Bergstation nur 8 Kilometer vom Ziel entfernt.
Bis zu diesem Punkt macht Frank noch einmal richtig Druck, denn auch an diesem Punkt gibt es immer wieder Teilnehmer, die das Zeitlimit nicht schaffen. Für Frank keine Option! In La Flegere kurz noch einmal die Trinkflaschen aufgefüllt und dann hinab nach Chamonix, dort wo alles vor 45 Stunden begann. Viele Steine und Wurzeln auf dem Downhill, jetzt bloß keinen Fehler machen, ging Frank durch den Kopf, denn ein Sturz oder einmal umgeknickt, könnte einen Strich durch die Rechnung machen.
Um ca. 15:50 Uhr überquerte Frank den Fluss Arve, bog nach rechts ab und folgte dem Fluss zum Centrum Chamonix.
Eine Absperrung hier, ein Hinweisschild dort. Er schaute auf den Boden vor sich und kann noch nicht wirklich fassen, was im hier und Jetzt geschieht. Plötzlich sind überall Menschen Sie schreien seinen Namen, treiben Ihn an „ Alez…Alez…Frank“. Die Leute in den Cafés applaudieren. Das ist Chamonix live. Hier wird jeder Läufer, wie der erste Läufer empfangen. Noch 400 Meter, plötzlich taucht Peter aus der Menge auf, zückt das Handy und läuft die letzten Meter mit. Noch zweimal rechts und einmal links abbiegen und dann ist der Zielbogen vor Ihm. Er ruft noch einmal alle Reserven ab und reißt die Arme nach oben und dann ist es endlich geschafft.
Finish, nach 46 Stunden. Der „Ultra Trail du MontBlanc“ ist bezwungen. Die Emotionen gewinnen die Überhand. Lachen, Tränen alles um Ihn verschwimmt. Der Kopf ist leer. Es fühlt sich gut an, jetzt nicht mehr laufen zu müssen.
Vor Ort haben sich Frank und Peter erst einmal ein Zielbier gegönnt bevor es dann zu einem ausgiebigen Abendessen ging. Für Frank endete der längste Tag nach etwas mehr als 62 Stunden in einem zufriedenen Tiefschlaf. Und was bleibt? Viele Emotionen, phantastische Ausblicke, die Zufriedenheit, ihn endlich bezwungen zu haben und natürlich ein dickes Dankeschön an den besten Support aller Zeiten.
Pit, ohne dich hätte ich ihn nicht gerockt!!!!